Verliebt, verlobt, ver-...storben
«Bernd Heinrich Willhelm von Kleist» ist; der Autor von der Verlobung in St. Domingo, geboren 1777 und gestorben durch Freitod im Jahre 1811. Als Gott die Namen verteilte hat, rief Kleist mehr als einmal «Hier bitte!». Nicht nur sein Name, nein auch seine Sätze sind überdurchschnittlich lang. Es bleibt aber nicht bei dieser einen Parallele zwischen Autor und Novelle. Dazu später mehr…
Die Geschichte erzählt von den Ereignissen Anfang des 19. Jahrhunderts auf der karibischen Insel San Domingo, welche heute besser bekannt ist als Haiti. Kleist beschreibt das vorherrschende Blutvergiessen zwischen Weiss und Schwarz, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Alles ist sehr detailliert und man kann sich sehr gut in die Situation der einzelnen Figuren hineinversetzen.
Toni ist mittendrin in diesem Konflikt. Sie wohnt mit ihrer Mutter in einer Niederlassung, welche einem Ehemaligen Sklaven namens Congo Hoango gehört. Dieser hat den Fulltime-Job, Weisse zu jagen, um die Insel von der Unterdrückung zu befreien. Die Mestize Toni ist in diesem Bürgerkrieg genetisch und moralisch gespalten. Als dann eines Tages der umwerfend schöne Schweizer Offizier Gustav an ihr Haus klopft, schlägt Tonis Herz höher. Die beiden Frauen bieten ihm Obdach und vorübergehenden Schutz vor den «Negern» (vgl. S. 17) Hals über Kopf verlieben sich das junge Mädchen und der Schweizer. Sogar Heiraten und Zusammenziehen wollen sie. Es wird klar, dass Kleist die Lösung des Problems in der Liebe sieht. Diese jedoch durch verstrickte Umstände ein tödliches Ende nehmen kann. Obschon durchs Band mit rassistischen Begriffen um sich geworfen wird, will der Autor also keine Hetze gegen die Schwarze Bevölkerung anzetteln. Man versteht die Situation beider Parteien. Eine Meisterleistung der objektiven Schreibweise also, jedoch Trauerspiel für die Idee der rassenlosen Gesellschaft.
Die ganze Handlung nimmt mit der Verbindung von Gustav zu Kleist einen überraschend realen Charakter an. Auf einmal scheinen sich die Geschichte und das Privatleben des Autors immer mehr zu ähneln. Wie Gustav, erschoss Kleist auch seine Freundin und danach sich selbst. Dies verleiht der Novelle beinahe den Stellenwert der «letzten Worte» eines Menschen. Wir werden offensichtlich aufgefordert seine Worte in Taten umzusetzen. Als aufmerksamer Leser nimmt man ungewollt die Bürde/Würde auf sich, den Gedanken vor dem Tod eines Menschen eine gewisse Aufmerksamkeit zu schenken.
In den bereits erwähnten Bandwurmsätzen bringt Kleist durch verständliches Deutsch eine Liebesgeschichte auf Papier, welche für die damalige Zeit modern gewesen sein muss. Normalerweise ist die Sprache in zeitlich gleichgestellten Werken für uns Leien gewöhnungsbedürftiger. Die einzige Schwierigkeit beim Lesen der Verlobung in St. Domingo ist jedoch, am Ende eines Satzes noch zu wissen, wie er angefangen hat.
Im Verlauf der Novelle wird einem der Wert der Gefühle immer mehr bewusst. Sie sind es, welche den Inhalt prägen und den Ausgang dramatisch beeinflussen. Kleist will uns hier also belehren. Unser alltägliches Leben soll sich mit einem besseren Bewusstsein für das Gegenüber abspielen. Die Moralpredigt des Autors gelingt vor allem in dem Moment, in dem einem klar wird, dass man stehts ehrlich mit seinen Mitmenschen sein sollte. Ansonsten ergeht es einem, wie Toni, welche gutmütig handelte, dies aber nicht kommunizierte und deshalb sterben musste. (vgl. S. 39)
Kleist bringt in Verbindung mit der Ehrlichkeit auch die Folgen der Übermut in das Gewissen des Lesers. Was geschehen ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Man soll nicht aus der Wut heraus handeln. Vielleicht zerstört man dabei etwas, unwiderrufliches. Er appelliert daran, es nicht wie Gustav zu machen. Toni hätte nicht sterben müssen, hätte er nicht voreilig geschossen. Die ganze Situation widerspricht sich jedoch, in der Erinnerung daran, dass Kleist ja Gustav gleichgestellt werden kann. Was soll man denn jetzt glauben? Es ist als wäre er die Mutter, welche dem Kind verbietet, bei Rot über die Ampel zu laufen und dies selbst macht.
Auch wenn es dem Schriftsteller damals wahrscheinlich nicht bewusst war, verfasste er eine Zeitlose Novelle, mit Themen, deren Aktualität heute noch vorhanden ist. Der Rassismus in der Geschichte ist allgegenwärtig, sowohl weissen, gegenüber schwarzen, wie umgekehrt. Wenn Kleist damals Begriffe wie «Neger» verwendet hatte, dann wohl nicht um die Gesellschaft zu schockieren, sondern um die «Rasse» als solche zu definieren. Heute sind wir genau an dem Punkt, an dem wir dieses Verhalten als Ursprung des Problems erkennen können. Kleist würde sich bestimmt freuen zu hören, dass sein Buch Jahrhunderte Später immer noch modern ist. Ihm zu verschweigen wäre jedoch, dass es als Negativbeispiel dient.
Das Werk und seine Figuren sind in sich vollkommen. Viele extreme Figuren haben ihr Pendant. Der grimmige Congo Hoango will Toni eigentlich nichts Böses. (vgl. S. 32) Sowohl Babekan, wie auch Gustav, scheinen ständig an sich vorbei zu reden. (vgl. S. 27) Es sind die ergänzenden Charakterzüge, welche das ganze Werk am Ende so abgerundet erscheinen lassen.
Für jemanden, der noch nie in der Karibik war, ist es eher schwierig sich im Kopf ein passendes Klima auszumalen. Das Werk hat deshalb für mich immer einen Touch von «Fluch der Karibik», weil dies die breiteste Informationsquelle dieser Gegend für meine Erinnerung ist. Auch der Zeitunterschied erfordert für den heutigen Leser ein adaptives Vorstellungsvermögen. Das sind beides Gründe, weshalb wir mit unserem Bild der Geschichte wohl an dem erhofften Bild Kleists vorbeischiessen.
Spannungstechnisch ist die Geschichte etwa wie die Corona Wellen. Es passiert zuerst lange nichts, dann kommt der Schweizer, die Spannung steigt, Toni verliebt sich und sie beschliessen sich zu verloben. Dann flaut die Spannung wieder ab. Die erste Welle ist vorüber. Alle denken, jetzt wird dann noch geheiratet und es ist fertig. Aber nein! Falsch gedacht! PAM! Zweite Welle! Congo Hoango ist vor der Tür und er ist nicht aufzuhalten. Die Spannung steigt bis unter die Decke und bleibt dort oben. Und dann wird gestorben und nicht geheiratet. Von mir aus hätte das Buch aber mehr Spannungswellen vertragen, auch wenn es dann nicht mehr so akkurat mit Corona gewesen wäre.
Das Buch bietet sich für einen grossen Teil der Lesegemeinschaft an. Es kommt nämlich darauf an, wie man es liest. Erwartet man eine Geschichte, wie Harry Potter, bei der nicht interpretiert werden muss, wird man enttäuscht. Ist man sich jedoch die Intertextualität gewohnt und erkennt sie auch, so erlangt die Lektüre eine Dimension, welche Lesefreude auf einem neuen Niveau bereitet.
Abschliessend ist die Verlobung in St. Domingo als Lebenswerk eines Autors zu bewerten, der seiner Nachwelt in Sachen Moral und Lebenshaltung ein Exempel machen wollte. Gut zum Lesen, wenn man bereit ist, sich selbst zu hinterfragen.
Die Geschichte erzählt von den Ereignissen Anfang des 19. Jahrhunderts auf der karibischen Insel San Domingo, welche heute besser bekannt ist als Haiti. Kleist beschreibt das vorherrschende Blutvergiessen zwischen Weiss und Schwarz, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Alles ist sehr detailliert und man kann sich sehr gut in die Situation der einzelnen Figuren hineinversetzen.
Toni ist mittendrin in diesem Konflikt. Sie wohnt mit ihrer Mutter in einer Niederlassung, welche einem Ehemaligen Sklaven namens Congo Hoango gehört. Dieser hat den Fulltime-Job, Weisse zu jagen, um die Insel von der Unterdrückung zu befreien. Die Mestize Toni ist in diesem Bürgerkrieg genetisch und moralisch gespalten. Als dann eines Tages der umwerfend schöne Schweizer Offizier Gustav an ihr Haus klopft, schlägt Tonis Herz höher. Die beiden Frauen bieten ihm Obdach und vorübergehenden Schutz vor den «Negern» (vgl. S. 17) Hals über Kopf verlieben sich das junge Mädchen und der Schweizer. Sogar Heiraten und Zusammenziehen wollen sie. Es wird klar, dass Kleist die Lösung des Problems in der Liebe sieht. Diese jedoch durch verstrickte Umstände ein tödliches Ende nehmen kann. Obschon durchs Band mit rassistischen Begriffen um sich geworfen wird, will der Autor also keine Hetze gegen die Schwarze Bevölkerung anzetteln. Man versteht die Situation beider Parteien. Eine Meisterleistung der objektiven Schreibweise also, jedoch Trauerspiel für die Idee der rassenlosen Gesellschaft.
Die ganze Handlung nimmt mit der Verbindung von Gustav zu Kleist einen überraschend realen Charakter an. Auf einmal scheinen sich die Geschichte und das Privatleben des Autors immer mehr zu ähneln. Wie Gustav, erschoss Kleist auch seine Freundin und danach sich selbst. Dies verleiht der Novelle beinahe den Stellenwert der «letzten Worte» eines Menschen. Wir werden offensichtlich aufgefordert seine Worte in Taten umzusetzen. Als aufmerksamer Leser nimmt man ungewollt die Bürde/Würde auf sich, den Gedanken vor dem Tod eines Menschen eine gewisse Aufmerksamkeit zu schenken.
In den bereits erwähnten Bandwurmsätzen bringt Kleist durch verständliches Deutsch eine Liebesgeschichte auf Papier, welche für die damalige Zeit modern gewesen sein muss. Normalerweise ist die Sprache in zeitlich gleichgestellten Werken für uns Leien gewöhnungsbedürftiger. Die einzige Schwierigkeit beim Lesen der Verlobung in St. Domingo ist jedoch, am Ende eines Satzes noch zu wissen, wie er angefangen hat.
Im Verlauf der Novelle wird einem der Wert der Gefühle immer mehr bewusst. Sie sind es, welche den Inhalt prägen und den Ausgang dramatisch beeinflussen. Kleist will uns hier also belehren. Unser alltägliches Leben soll sich mit einem besseren Bewusstsein für das Gegenüber abspielen. Die Moralpredigt des Autors gelingt vor allem in dem Moment, in dem einem klar wird, dass man stehts ehrlich mit seinen Mitmenschen sein sollte. Ansonsten ergeht es einem, wie Toni, welche gutmütig handelte, dies aber nicht kommunizierte und deshalb sterben musste. (vgl. S. 39)
Kleist bringt in Verbindung mit der Ehrlichkeit auch die Folgen der Übermut in das Gewissen des Lesers. Was geschehen ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Man soll nicht aus der Wut heraus handeln. Vielleicht zerstört man dabei etwas, unwiderrufliches. Er appelliert daran, es nicht wie Gustav zu machen. Toni hätte nicht sterben müssen, hätte er nicht voreilig geschossen. Die ganze Situation widerspricht sich jedoch, in der Erinnerung daran, dass Kleist ja Gustav gleichgestellt werden kann. Was soll man denn jetzt glauben? Es ist als wäre er die Mutter, welche dem Kind verbietet, bei Rot über die Ampel zu laufen und dies selbst macht.
Auch wenn es dem Schriftsteller damals wahrscheinlich nicht bewusst war, verfasste er eine Zeitlose Novelle, mit Themen, deren Aktualität heute noch vorhanden ist. Der Rassismus in der Geschichte ist allgegenwärtig, sowohl weissen, gegenüber schwarzen, wie umgekehrt. Wenn Kleist damals Begriffe wie «Neger» verwendet hatte, dann wohl nicht um die Gesellschaft zu schockieren, sondern um die «Rasse» als solche zu definieren. Heute sind wir genau an dem Punkt, an dem wir dieses Verhalten als Ursprung des Problems erkennen können. Kleist würde sich bestimmt freuen zu hören, dass sein Buch Jahrhunderte Später immer noch modern ist. Ihm zu verschweigen wäre jedoch, dass es als Negativbeispiel dient.
Das Werk und seine Figuren sind in sich vollkommen. Viele extreme Figuren haben ihr Pendant. Der grimmige Congo Hoango will Toni eigentlich nichts Böses. (vgl. S. 32) Sowohl Babekan, wie auch Gustav, scheinen ständig an sich vorbei zu reden. (vgl. S. 27) Es sind die ergänzenden Charakterzüge, welche das ganze Werk am Ende so abgerundet erscheinen lassen.
Für jemanden, der noch nie in der Karibik war, ist es eher schwierig sich im Kopf ein passendes Klima auszumalen. Das Werk hat deshalb für mich immer einen Touch von «Fluch der Karibik», weil dies die breiteste Informationsquelle dieser Gegend für meine Erinnerung ist. Auch der Zeitunterschied erfordert für den heutigen Leser ein adaptives Vorstellungsvermögen. Das sind beides Gründe, weshalb wir mit unserem Bild der Geschichte wohl an dem erhofften Bild Kleists vorbeischiessen.
Spannungstechnisch ist die Geschichte etwa wie die Corona Wellen. Es passiert zuerst lange nichts, dann kommt der Schweizer, die Spannung steigt, Toni verliebt sich und sie beschliessen sich zu verloben. Dann flaut die Spannung wieder ab. Die erste Welle ist vorüber. Alle denken, jetzt wird dann noch geheiratet und es ist fertig. Aber nein! Falsch gedacht! PAM! Zweite Welle! Congo Hoango ist vor der Tür und er ist nicht aufzuhalten. Die Spannung steigt bis unter die Decke und bleibt dort oben. Und dann wird gestorben und nicht geheiratet. Von mir aus hätte das Buch aber mehr Spannungswellen vertragen, auch wenn es dann nicht mehr so akkurat mit Corona gewesen wäre.
Das Buch bietet sich für einen grossen Teil der Lesegemeinschaft an. Es kommt nämlich darauf an, wie man es liest. Erwartet man eine Geschichte, wie Harry Potter, bei der nicht interpretiert werden muss, wird man enttäuscht. Ist man sich jedoch die Intertextualität gewohnt und erkennt sie auch, so erlangt die Lektüre eine Dimension, welche Lesefreude auf einem neuen Niveau bereitet.
Abschliessend ist die Verlobung in St. Domingo als Lebenswerk eines Autors zu bewerten, der seiner Nachwelt in Sachen Moral und Lebenshaltung ein Exempel machen wollte. Gut zum Lesen, wenn man bereit ist, sich selbst zu hinterfragen.